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Interview mit Dr. Johannes Ortner
se persönlich sehr beschäftigt, weil eine gesamte Branche wegen
ein paar schwarzer Schafe unter Generalverdacht gestellt wurde.
Ich habe angefangen, mit dem Sinn meines beruflichen Tuns zu
hadern, und hatte das Gefühl, die Orientierung zu verlieren, wenn
man in der Öffentlichkeit immer als „das Böse“ dargestellt wird,
obwohl man selbst eigentlich nichts falsch gemacht hat.
Ich war immer ein Befürworter des Genossenschaftsgedankens,
des Miteinanders, habe in Vorarlberg an der Fachhochschule so-
gar Genossenschaftswesen unterrichtet. Ich finde, heute jeman-
dem die Miteigentümerschaft anzubieten und Mitspracherecht zu
geben, ist ein sehr starkes Signal. Dieser Gedanke hat mich dazu
veranlasst, über die Gründung einer eigenen Bank nachzuden-
ken – einer Bank auf der grünen Wiese, die nichts anderes tut, als
auf der einen Seite Spareinlagen hereinzunehmen und auf der an-
deren Seite Kredite zu vergeben. Ich konnte mir über die Jahre
ein starkes Netzwerk aufbauen und war mir sicher, Unternehmer
würden sich daran beteiligen und das Projekt gelänge. Dann wur-
de mir klar, dass Raiffeisen genau diese Zutaten schon hat, die es
braucht, um erfolgreich zu sein.
In Zeiten von Gewinnmaximierungen könnte man meinen, die
Gesellschaftsform der Genossenschaft sei altmodisch oder
überholt. Wie sehen Sie das?
Hätten Sie mir das vor zehn Jahren gesagt, hätte ich Ihnen vermut-
lich zugestimmt. Heute und mit all meinen Erfahrungen bin ich da
anderer Meinung. Es geht um ein Miteinander. Am Ende des Tages
sitzen wir alle zusammen im selben Boot.
Raiffeisen mit seinen vielen selbstständigen Einheiten im Land
vermittelt genau dieses Urbild, das ich vorhatte, auf der grü-
nen Wiese zu verwirklichen. Wir müssen das Ursprüngliche der
Raiffeisenbank wieder in den Vordergrund rücken. Deshalb ist
es mein persönliches Ziel, das Image von Raiffeisen noch po-
sitiver aufzuladen und die Werte auch in der Außenwirkung zu
stärken.
Die Tiroler Raiffeisenbanken bestehen seit mehr als 125 Jah-
ren und sind dabei trotzdem jung und modern. Was bedeutet
Ihnen Tradition generell und was bedeutet es für Banken im
Speziellen?
Ich glaube, dass wir die Werte, die uns Friedrich Wilhelm Raiffeisen
in die Wiege gelegt hat, auch tatsächlich leben müssen. Und ich
bin mir nicht sicher, ob sich ein Friedrich Wilhelm Raiffeisen nicht
im Grab umdrehen würde, wenn er sähe, was wir teilweise aus sei-
ner Idee gemacht haben. Banken sind heute generell doch relativ
weit von der ursprünglichen Idee eines Gemeinschaftssinnes ent-
fernt. Diesen möchte ich wieder mehr hervorholen, weil Raiffeisen
genau dafür steht. Es geht mir um die Grundidee, gemeinsam an
Themen heranzugehen – und das nicht aus dem übergeordneten
Zweck heraus, einzelne Menschen zu bereichern, sondern durch
unsere Geschäftstätigkeit der Gesellschaft etwas Positives zurück-
zugeben. Das sind Werte, die ich als Tradition weitertragen möch-
te. Diese Werte sprechen sehr viele Menschen an und entsprechen
voll dem Zeitgeist. Natürlich müssen wir uns dabei aber auch den
aktuellen Entwicklungen stellen. Doch das ist kein Widerspruch,
sondern aus meiner Sicht eine ganz sinnvolle Ergänzung. Man
kann diese Werte leben und gleichzeitig eine höchstmoderne
Bankorganisation sein.
Die Raiffeisenbank ist tief in den Regionen verwurzelt – durch
den Genossenschaftsgedanken wahrscheinlich noch mehr als
andere Banken. Ein Vorgänger von Ihnen meinte in einem In-
terview: „Wir machen Geschäfte, die wir können, mit Men-
schen, die wir kennen.“ Auf der anderen Seite machen die
Regularien das Bankgeschäft mechanischer. Wie viel Mensch-
lichkeit hat da noch Platz?
Das Bankgeschäft ist Beziehungsarbeit und braucht daher auch
Menschlichkeit. Ich war schon immer ein Marktmensch und bin
nun ein marktorientierter Vorstand. Deshalb halte ich die Fahnen
des Marktes hoch. Es sind nicht nur die externen Regularien, die
zunehmen, es beginnen auch die internen um sich zu greifen.
Das kostet viel Zeit, die man hinter dem Schreibtisch verbringen
muss anstatt vor Ort bei den Menschen. Ich sehe meine Aufgabe
als gewisses Regulativ im Sinne des Kunden. Natürlich werden
wir alle Vorgaben, die uns gesetzlich mitgegeben sind, erfüllen,
doch wir müssen auch Unternehmer bleiben und entsprechen-
de unternehmerische Freiheiten haben dürfen. Wenn es unser
Job wird, nur mehr zu kontrollieren, dann macht mir das keinen
Spaß. Das hat mich noch nie gereizt. Ich bin lieber bei Kunden,
lerne neue Menschen und Unternehmer kennen. Das finde ich
viel interessanter, denn ihnen will ich eine gute Dienstleistung er-
bringen.
Banker haben mit ihrem Image zu kämpfen. Wie geht es Ihnen
heute damit, Banker zu sein?
Ich habe mir schon öfter die Frage gestellt: Bin ich überhaupt ein
Banker? Klar bin ich einer, weil ich in einer Bank arbeite. Am Ende
des Tages bin ich mehr Beziehungsmanager als Banker und im
Übrigen Raiffeisianer. Meine Aufgabe ist es, meine Kunden zufrie-
denzustellen und zu begeistern. Natürlich müssen wir auch wirt-
schaftlich arbeiten, das ist unser Unternehmensauftrag, doch das
Interessante an meinem Beruf ist es, eine vertrauensvolle Kunden-
beziehung aufzubauen und sie gut zu pflegen.
Wie sehr ist man als Vorstand einer Bank in dieser Größenord-
nung wirklich noch beim Kunden?
Ich hoffe, viel. Ich habe mir zum Ziel gesetzt, meine Arbeitszeit sehr
stark im Sinne unserer Kunden und im Sinne des Außenauftritts als
Bank wahrzunehmen, zu repräsentieren, Beziehungen zu erhalten
und auszubauen.
Was gefällt Ihnen an Tirol?
Was ich sehr an Tirol schätze, ist der Dienstleistungsgedanke. Das
ist nicht selbstverständlich und es ist nicht zufällig, dass Tirol ein
so erfolgreiches Tourismusland ist. Dieser positive Umgang mit
Menschen steckt an.
Generell kann ich sehr viel mit den Möglichkeiten, die mir Tirol
bietet, anfangen. Ich bin sehr naturverbunden, von Kindesbei-
nen an. Ich bin Jäger – in Tirol darf man das ja noch sagen. Ich
bin auch mit den Kindern gern draußen. Ich hab drei Söhne, die
mit mir aktiv am Berg sind, meine Hobbys teilen – Ski fahren oder
mittlerweile auch das Segeln. Aktuell ist meine Familie noch in
Vorarlberg, aber wir haben in Innsbruck einen wunderbaren Platz
zum Wohnen gefunden. Und auch beruflich habe ich das Gefühl,
dass ich in einem sehr guten Team angekommen bin. Das An-
kommen im Büro und dann das Heimkommen machen wirklich
Freude.
„Wir müssen das Ursprüngliche
der Raiffeisenbank wieder in
den Vordergrund rücken.“