Wirtschaftsinformation der Tiroler Raiffeisenbanken
Raiffeisen kompakt 03/2013
„Das Erfolgsrezept ist die Nähe zumKunden“
Raiffeisen begeht heuer sein 125-Jahr-Jubiläum in Tirol. 1888 wurde in Oetz die erste Raiffeisenkasse Tirols gegründet –
und damit der Grundstein für die größte Bankengruppe des Landes gelegt. Dr. Hannes Schmid, Vorstand der RLB Tirol AG und Sprecher
der Raiffeisen-Bankengruppe Tirol, im Interview.
H
err Dr. Schmid, Raiffeisen
feiert sein 125-jähriges Be-
stehen in Tirol. Welche Be-
deutung hat das Jubiläum
für die Raiffeisen-Bankengruppe Tirol?
Dr. Hannes Schmid: Die Bankenwelt befin-
det sich heute in einer Phase des Umbruchs.
Da ist es wichtig, sich auch die Erfolgsre-
zepte der Vergangenheit bewusst zu ma-
chen – vor allem die Nähe zum Kunden, die
ja auch heute noch im Mittelpunkt unseres
Geschäftsmodells steht. Die Gründerväter
haben diese persönliche Beziehung in den
Vordergrund gestellt. Von Anfang an hat zu-
demdas Element der Gemeinnützigkeit oder
die gemeinsame Entwicklung eine tragende
Rolle gespielt. Raiffeisen geht es auch heute
nicht um den kurzfristigen Erfolg, die Ge-
winnmaximierung, sondern um eine nach-
haltige Entwicklung.
Hat sich bei aller Tradition auch etwas
verändert hinsichtlich der Philosophie
von Raiffeisen?
Die Herausforderung besteht ja gerade da-
rin, die 125 Jahre alten Wurzeln auch heu-
te zum Blühen zu bringen. Ohne Verände-
rung wäre dies gar nicht möglich. Raiffeisen
ist modern wie ein Großkonzern, aber dank
seiner Tradition und Prinzipien nicht aus-
tauschbar wie ein solcher.
U
nter den ersten Spareinlegern,
die Tirols erster Raiffeisenkas-
se in Oetz Geld anvertrauten,
befanden sich bereits instituti-
onelleKunden – etwa die Sennereigenossen-
schaft Oetz, die Vieh-Assekuranz und die
Gemeindeparzelle Oetz und Oetzer Au (Vor-
läufer der Agrargemeinschaft). Dies war
durchaus imSinne der Gründer rund umden
legendären Obmann Johann Tobias Haid.
Im Handelsregistereintrag vom Dezember
1888 heißt es: „Der Zweck des Vereins ist, die
Verhältnisse seiner Mitglieder in sittlicher
und materieller Beziehung zu verbessern,
indem er insbesondere seinen Mitgliedern
zu ihrem Wirtschafts- und Geschäftsbe-
triebe Darlehen gewährt, die hiezu notwen-
digen Geldmittel beschafft, durch Annahme
von Sparbeträgen Gelegenheit gibt, müßig
liegende Geldbeträge verzinslich anzulegen,
und die Bildung von Erwerbs- und Wirt-
schaftsgenossenschaften im Vereinsgebiete
zu fördern sucht.“
Mit einem Wort: Die Raiffeisenkasse
Oetzsollte sich nach demWillen ihrer Grün-
der auch zu einemWirtschaftsfaktor für die
Region entwickeln.
RegionaleWertschöpfung.
Auch 125 Jahre später verstehen sich die
Tiroler Raiffeisenbanken als Partner für
Wirtschaftsfaktor von Anfang an
Aus der Region, für die Region – dafür steht Raiffeisen in Tirol. Schon die Pioniere verstanden sich als Partner für die Unternehmer vor Ort.
die Wirtschaft in der Region. Mit 80 selbst-
ständigen örtlichen Raiffeisenbanken, der
RLB Tirol AG und in Summe 261 Bankstel-
len verfügt Raiffeisen über das mit Abstand
dichteste Bankstellennetz des Landes. Ins-
gesamt ist die Raiffeisen-Bankengruppe mit
rund 9 Milliarden Euro in die Tiroler Wirt-
schaft investiert.
Die erwirtschafteten Gewinne werden
dabei nicht an eineKonzernzentrale transfe-
riert, sondern in einem erheblichen Maß vor
Ort reinvestiert. So betraut Raiffeisen bei
Investitionen – etwa in ein Betriebsgebäude
– vornehmlich heimische Unternehmen mit
den anfallenden Arbeiten, sodass die Wert-
schöpfung in der Region verbleibt.
In Tirol gibt es 81 selbstständige Raiffei-
senbanken. Wo kann die einzelne Raiff-
eisenbank ihre Unabhängigkeit beweisen?
Die Marktverantwortung liegt allein bei je-
der einzelnen Raiffeisenbank. Zudem ist
sie natürlich für das Risiko und Ergebnis
verantwortlich und nicht zuletzt entschei-
det sie, welche Mitarbeiter sie beschäftigen
möchte. Dass es dank der Verbundorganisa-
tion einenRahmen gibt, was die IT-Systeme,
die Produktgestaltung, die Ausbildung und
das Marketing betrifft, ergänzt diese Eigen-
ständigkeit optimal.
Das Genossenschaftssystem scheint ak-
tuell eine Renaissance zu erleben. Viele
Experten sind voll des Lobes für die ge-
nossenschaftlichen Prinzipien. Woher
kommt das?
Im Zuge der Finanzkrise wurde von Kriti-
kern der Finanzbranche ein nicht kurzfris-
tig gewinnmaximierendes, demokratisches
System gefordert – das ist Raiffeisen. Große
Konzernstrukturen haben am Kundenban-
kensystem meiner Meinung nach viel Än-
derungsbedarf. Eine Fokussierung auf das
eigentliche Kundengeschäft wird die Raiff-
eisen-Idee noch viel stärker in den Vorder-
grund stellen. Und hier kommt uns wieder
die Nähe zumKunden zugute. Die Entschei-
dungen werden bei Raiffeisen vor Ort getrof-
fen und nicht irgendwo in Wien oder Mai-
land. Wer kennt sich in einer Region besser
aus als Geschäftsleiter, Funktionäre und
Mitarbeiter, die alle in der Region leben?
Welche Rolle spielt imKonzert der Raiff-
eisenbanken die Raiffeisen-Landesbank?
Zum einen übernimmt die Raiffeisen-Landes-
bank eineReihe von Servicefunktionen für die
TirolerRaiffeisenbankenimBereichProdukte,
Marketing und IT-Systeme. Außerdem kann
sich eine Bank, wenn ihr eine Aufgabe zu groß
oder zu komplex erscheint, an die Landesbank
wenden undwir schauen, obwir nicht gemein-
sam etwas zustande bringen. Zum anderen
bekennen wir uns auch dazu, Themen vorzu-
denken und gemeinsammit den Tiroler Raiff-
eisenbankenzueiner Strategie zuentwickeln.
Wohin geht die Reise für Raiffeisen
in Tirol in Zukunft?Wo liegen die
Herausforderungen?
Wir sind vor Ort erfolgreich, wirmüssen uns
also nicht auf die Reise in andereMärkte be-
geben. Und wir müssen nichts Neues erfin-
den. Entscheidend wird sein, dass wir die
Qualität unserer Leistungen für die Kunden
weiter steigern, wobei der Trend ganz allge-
mein im Bankgeschäft hin zur individuellen
Beratung des Kunden geht.
Vielen Dank für das Gespräch.
„Die Entscheidungen werden bei Raiffeisen vor
Ort getroffen und nicht irgendwo inWien oder
Mailand. Wer kennt sich in einer Region besser
aus als Geschäftsleiter, Funktionäre undMitar-
beiter, die alle in der Region leben?“
„Raiffeisen ist
modern wie ein
Großkonzern,
aber dank sei-
ner Tradition
und Prinzipi-
en nicht aus-
tauschbar wie
ein solcher.“
© rlb tirol ag
© gerhard berger (2)
Die Raiffeisenbank Oetz einst und heute