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125 Jahre Raiffeisen in Österreich
125 Jahre Raiffeisen in Österreich:
Auf einem soliden Fundament
Von Prof. Kurt Ceipek, Herausgeber der Raiffeisenzeitung
Die Raiffeisen-Organisation in Österreich feierte im Jahr 2011
ihr 125-jähriges Bestehen. Im Dezember des Jahres 1886 war in
Niederösterreich die erste Raiffeisenkasse gegründet worden.
Raiffeisen in Tirol ist nur wenige Monate jünger. Im Jahr 1888
wurden die beiden ersten Raiffeisenkassen Tirols in Oetz und
Inzing fast auf den Tag genau zeitgleich ins Leben gerufen. Es
war der Startschuss für einen im Rückblick beeindruckenden Auf-
stieg des heimischen Raiffeisen-Genossenschaftswesens.
Beispiellose Erfolgsgeschichte
Seither hat Raiffeisen in Tirol gemeinsam mit seinen Mitgliedern
und Kunden eine Reihe von Kriegen und Krisen erfolgreich bewäl-
tigt. Raiffeisenbanken waren stets die Banken des Mittelstandes,
der Klein- und Mittelbetriebe, der Bauern, der Angestellten, Staats-
bediensteten und Arbeiter. Das hat uns besonders krisenfest und
stabil gemacht.
Heute bildet Raiffeisen das Rückgrat der Tiroler Wirtschaft. 82
selbstständige Tiroler Raiffeisenbanken mit insgesamt 262 Bank-
stellen tragen die Verantwortung für die Nahversorgung mit Finanz-
dienstleistungen, sind bedeutendster Finanzier von Investitionen
in der Wirtschaft und Hauptfinanzier des Wohnbaus. Zugleich ist
Raiffeisen auch selbst ein wichtiger Investor und belebt auf
diese Weise die Wirtschaft des Landes. Wichtig ist Raiffeisen auch
als größter privater Arbeitgeber des Landes. Viele Arbeitsplätze
wurden besonders in Regionen geschaffen, in denen qualifizier-
te Arbeitsplätze besonders spärlich und daher noch wertvoller sind
als in Ballungszentren. Zusätzlich werden Jugendarbeitsplätze
geschaffen. Angeboten werden die Lehre zur Bankkauffrau bzw.
zum Bankkaufmann mit und ohne Matura.
Gegenwart hat Geschichte
Die Entwicklung der Raiffeisen-Idee und die Gründung der
ersten Raiffeisen-Genossenschaften fiel in eine Zeit sozialer und
wirtschaftlicher Umbrüche, unter denen die Mehrheit der Be-
völkerung schwer zu leiden hatte. Den Mitte des 19. Jahrhunderts
frei gewordenen Bauern und Handwerkern fehlte es fast immer
an Geld zur Beschaffung von Betriebsmitteln und zur Finanzierung
von Investitionen und sie verfügten auch fast nie über aus-
reichende Bildung. Viele konnten nicht lesen und schreiben.
Ähnlich dramatisch entwickelte sich das Leben der Handwerker
und Gewerbetreibenden, von denen viele durch die beginnende
Industrialisierung ihre Existenzgrundlage verloren.
Die Geldnot von Landwirten und Handwerkern machten sich Mitte
des 19. Jahrhunderts skrupellose Wucherer zunutze, die Darlehen
mit extrem hohen Zinsen vergaben, sehr oft mit dem Ziel, sich das
Eigentum der Landwirte anzueignen. Viele Bauern und Kleinstun-
ternehmer mussten sich hoch verschulden, verloren in der Folge
ihren Besitz und damit die Lebensgrundlage. Die Folge war die
völlige Verarmung breiter Bevölkerungskreise vor allem in den
ländlichen Regionen. Tausende Bauernhöfe wurden zwangsver-
steigert, die Menschen aus ihren Häusern vertrieben, Familien
völlig entwurzelt.
Als Bürgermeister mehrerer Gemeinden im Westerwald wurde der
deutsche Sozialreformer Friedrich Wilhelm Raiffeisen hautnah mit
der Not der Menschen konfrontiert. Er suchte nach Auswegen aus
der Krise. Wegen einer extremen Hungersnot im Winter 1846/47
gründete Raiffeisen einen karitativen „Verein für Selbstbeschaffung
von Brod und Früchten“. Mit Hilfe privater Spender kaufte er Mehl,
aus dem in einem selbst errichteten Backhaus Brot gebacken und
an Bedürftige verteilt wurde.
Schon bald erkannte F. W. Raiffeisen, dass auf Dauer nur Selbst-
hilfe in Genossenschaften die Probleme der Menschen lösen
konnte. Deshalb machte der Sozialreformer 1864 aus dem Wohl-
tätigkeitsverein den „Heddesdorfer Darlehnskassen-Verein“.
Damit entstand die erste Raiffeisen-Genossenschaft und legte den
Grundstein für einen Siegeszug der Raiffeisen-Idee durch Europa
und später die ganze Welt.
Raiffeisen in Tirol war in Österreich einer der Pioniere dieser
Entwicklung. Nach der Gründung der ersten Raiffeisenbanken im
Jahr 1888 wurde 1895 in Bozen die Raiffeisen-Zentralkasse Tirol –
die Vorgängerin der heutigen RLB Tirol AG – als Drehscheibe und
gemeinsame Plattform für die Tiroler Raiffeisenkassen gegründet.
Das war noch drei Jahre vor der Gründung einer Landeszentrale
für Niederösterreich und Wien. Auch der Österreichische Raiffeisen-
verband wurde erst drei Jahre nach der Tiroler Landes-Genossen-
schaftsbank aus der Taufe gehoben.
Raiffeisens Idee war bestechend einfach, einleuchtend und für
die Menschen daher nachvollziehbar. „Einer für alle, alle für einen“
wurde zum geflügelten Wort. Es kam in Tirol zu einer Welle von
Gründungen, wobei bald auch Warengenossenschaften gegründet
wurden und viele Raiffeisenkassen ein Warengeschäft auf-
nahmen. Ebenso wurde die Milchverarbeitung in den folgenden
Jahren immer häufiger von bäuerlichen Genossenschaften selbst
in die Hand genommen.
Bei den Raiffeisenkassen ging es darum, die Mitglieder dazu zu
bewegen, ihre Ersparnisse der Genossenschaftsbank anzuvertrau-
en, damit in der Folge Mitglieder Darlehen zu sehr günstigen
Zinssätzen aufnehmen konnten. Bei den Warengenossenschaften
wurden die Preise für Betriebsmittel durch gemeinsamen Einkauf
für das einzelne Mitglied wesentlich verbilligt und durch den Ver-
kauf größerer Mengen an Agrarprodukten bessere Preise erzielt.
Zugleich wurden Möglichkeiten für die Lagerung von Agrarproduk-
ten geschaffen, um Phasen mit extrem niedrigen Preisen überbrü-
cken zu können. Raiffeisen wurde damit zur treibenden Kraft des
Aufschwungs in ländlichen Regionen, aber immer mehr auch in
den Städten.