Seite 11 - rlb_geschäftsbericht 2007

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Peter Habeler
Ab in die Mountains.
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Was für ein Tiroler. So wie man ihn
sich vorstellt. Braungebrannt, Sonnen-
brille, ein breites Lachen im Gesicht,
ein richtiger Skilehrer, charmant,
sympathisch, ein Frauenschwarm,
humorvoll und schnell. Peter Habeler
holt mich für unseren Interviewter-
min bei der Raika Finkenberg ab, im
Konvoi fahren wir den Berg hinauf zu
seinem Haus. Besser gesagt: Er fährt
voraus und ich versuche, ihn nicht
aus den Augen zu verlieren. Der flotte
Bergführer fährt einen blauen Renault
Megane Sport mit 230 PS. Ich kann
das Kennzeichen gerade noch erken-
nen, bevor er verschwindet. „Berg 2“
steht auf dem Schild.
Ein hübsches, kleines Haus in Finken-
berg nennt Peter Habeler sein Eigen.
Er hat es, wie er sagt, mit dem Erlös
seines ersten Buches gebaut. In der
zehnten Auflage erzählt „Der einsame
Sieg“, so heißt das Buch, über den
wohl größten Erfolg in Habelers Karri-
ere, die erste Besteigung des Mount
Everest ohne künstlichen Sauerstoff
am 8. Mai 1978.
Bei einer Winterbegehung in Südtirol
lernte Habeler Mitte der Sechzigerjah-
re den Bergsteiger Reinhold Messner
kennen, mit ihm gemeinsam war er
zehn Jahre lang in den Bergen unter-
wegs, sie durchstiegen die Eigernord-
wand in weniger als zehn Stunden.
Sie waren schnell, im westalpinen
Stil – das heißt mit so wenig Gepäck
wie möglich – stürmten sie auf die
Gipfel dieser Welt. Nachdem sie den
Hidden Peak ohne Sauerstoff in nur
drei Tagen geschafft hatten, wollten
sie auf den höchsten aller Berge, sie
mussten es tun, pushten sich gegen-
seitig, trieben sich an, hörten nicht auf
die Warnungen von Freunden.
Nach unmenschlichen Torturen
schafften sie das Unvorstellbare. Sie
umarmten sich ohne künstlichen
Sauerstoff auf 8848 Metern, völlig
erschöpft, außer sich, sie schrieben
Geschichte in diesem Moment, hatten
ihr Leben riskiert für diesen Augen-
blick.
„Wir fielen uns um den Hals,
schluchzten und stammelten und
konnten uns nicht mehr beruhigen.
Die Tränen flossen mir unter der Brille
hervor, gefroren auf meinen Wangen,
wir waren erlöst und befreit. Befreit
von dem unmenschlichen Zwang
weiterzuklettern.“
Unvorstellbar. Auf 8000 Metern lassen
sie ihre Begleiter zurück, gehen ohne
Sauerstoff los, sie wollen nicht in
Versuchung geraten, in schwierigen
Momenten schwach zu werden,
nach dem Sauerstoff zu greifen, ihren
Traum zu zerstören. Sie sind allein,
steigen immer höher, treffen die
Entscheidung, alles zu riskieren, nicht
umzukehren, weiterzugehen. Immer
weiter.
Ich frage ihn, wie man so etwas tun
kann, was einen antreibt, ob er Angst
hatte, was in ihm vorging. Natürlich
hatte er Angst, sagt er, er war glück-
lich verheiratet, sein Sohn Christian
war eben auf die Welt gekommen
und er wollte nicht riskieren, behin-
dert, verletzt oder überhaupt nicht zu
seinen Lieben zurückzukommen.
Der Sauerstoffdruck ab 8000 Metern
nimmt abrupt ab, es sind nur noch
dreißig Prozent, man muss langsam
gehen, immer nur wenige Meter, man
muss sich akklimatisieren, zwanzig
Meter, dreißig, Pause. Ruhig und
gleichmäßig atmen, dann wieder
weiter, zwanzig Meter durch den
tiefen Schnee, ein Bein nach dem
anderen in Richtung Gipfel. „Ich hatte
Angst, dass wir deppert werden da
oben. Na ja, ein bisserl deppert sind
wir wahrscheinlich schon geworden.“
Peter lacht dieses Zillertaler Lausbu-
benlachen.
„Wir haben noch gefilmt und fotogra-
fiert, dann bin ich abgefahren.“ Peter
stieg als Erster ab, er wollte hinunter
zum Südsattel, er wollte wieder Luft
in seinen Lungen spüren, aus der
Todeszone heraus, schnell, keine Se-
kunde länger dort oben bleiben ohne
Luft. Er setzte sich auf seinen Hosen-
boden und rutschte ab, den Pickel
als Bremse zwischen den Beinen.
Eine sehr unkonventionelle Art des
Abstiegs, die gelernt sein muss, wie
er sagt. In nur einer Stunde schaff-
te er es bis zum Südsattel auf 8000
Metern. „800 Höhenmeter in einer
Stunde, das ist Weltrekord bis heute!“